Selten war Small Talk leichter als jetzt. Wen auch immer du triffst, du kannst immer irgendwas zum Thema Impfung sagen und schon sind zehn Minuten vorbei. Das wissen vor allem Leute zu schätzen, die keinen Small Talk mögen. Introvertierten zum Beispiel fallen beiläufige, informelle Alltagsgespräche nicht so leicht. Sie verlieren Energie, während sie übers Wetter oder die neue Wanda-Single sprechen, auch wenn beides heiter ist. Zufällige Begegnungen empfinden sie wie einen Lückentext in einer Sprache, die sie nie gelernt haben. Auch ich muss mich an dieser Stelle als Innie outen. Ich spreche eher wenig, verfüge aber über ein reiches Innenleben, das ihr euch in etwa so vorstellen dürft wie einen Screensaver am Macbook Pro. Es geht megatief rein und hat einen Retina-Display. Ist das geil? Natürlich. Aber nicht immer. Denn die Welt, in der wir leben, ist für Extrovertierte gemacht.
Innies vs. Outies
Es gibt eben nur so viel Aufmerksamkeit für alle Menschen. Gezogen wird sie von Outies, die permanent ein imaginäres Breaking News Banner auf ihrer Brust tragen. Ihnen fallen immer neue Fischlokale auf Sardinien ein, über die sie dringend sprechen müssen. Sie versorgen dich bottomless mit drängenden YouTube-Videos und jenen heißen Takes, die für Twitter zu viele Zeichen haben. Sie curaten, was gesprochen, und nicht zuletzt, was gedacht wird, und kommen so leichter an Jobs, Money und Fame. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch Kryptowährungen ohne Extrovertierte nie so groß geworden wären. Dabei sind sie eigentlich in der Minderheit. Rechnet man alle nach innen gewandten Persönlichkeitstypen nach Meyers-Briggs zusammen, landet man bei 52 Prozent Introvertierten. Trotzdem sind Innies eine marginalisierte Gruppe, die im öffentlichen Diskurs häufig nicht gehört wird. Nun gut, das mag auch ein bisschen an den Persönlichkeitstypen liegen. Ein bisschen unfair ist es trotzdem.
All I’s on me
Auch beim Dating achte ich als INFP darauf, dass mir keine Leute mit einem E im Persönlichkeitstyp unterkommen, außer sie haben ein E dabei. Spaß beiseite: Es entspannt mich, angeschwiegen und dennoch verstanden zu werden von Menschen, die meine Subtitles lesen können. Wenn zwei Innies jedoch das erste Mal aufeinandertreffen, wird oft sogar sehr viel gequatscht. Sobald ich mit jemandem vibe, breite ich meine intimsten Geheimnisse aus wie eine lädierte Picknickdecke, in der Hoffnung, dass die andere Person darauf Platz nehmen will. Wie viele Innies kreise ich gerne um meinen Bauchnabel und neige zum One-on-one. Unsere Weltabgewandtheit ist schließlich nicht gleichzusetzen mit Schüchternheit, genauso wie es nicht ausschließlich forsche Outies gibt. Trotzdem finden uns viele langweilig oder fragen uns, warum wir so still sind. Innie-Posterboy Keanu Reeves brachte es erst vor kurzem mit einem Powertweet auf den Punkt: »I don’t ask others: »Why do you talk so much?« It’s rude.«
Innies for the winnies
Das setzt dich als Innie schon mal unter Druck. Die Gesellschaft verlangt von uns, dass wir uns gelegentlich wie Outies verhalten. Wenn du dann nämlich was sagst, muss dein Beitrag mindestens Bombe sein. Deshalb lege ich mir manchmal vor dem Socializen ein paar Themen zurecht. Geh kurz vorher noch schnell ins Kino, checke relevante Hashtags auf Twitter, blättere ein wenig in der aktuellen Ausgabe des Economist. Dann warte ich auf den richtigen Zeitpunkt um meine Rakete zu zünden. Da ist manchmal eine Apollo 9 dabei. Viel öfter aber zünde ich eine Ariane 5. In diesem Fall überlasse ich das Feld wieder den Klassensprechermentalitäten, die das können. Letztlich finde ich Extrovertierte ja auch ganz cute. Zum Beispiel wenn sie glauben, dass man mit Worten kommuniziert. Hin und wieder gewinnt man als Innie sogar einen Outie als Freund. Besser gesagt: Der Innie wird vom Outie adoptiert. Dann hören wir uns die Outies an wie einen Podcast, der nur für uns produziert worden ist. Irgendwann werden wir dann müde, rattern noch schnell irgendeinen Corona Talking Point herunter und verabschieden uns innig. Wenn der Outie dann nicht binnen fünf Minuten eine Taste drückt, sind schon wir im Energiesparmodus – auf der Milchstraße in unserer inneren Galaxy.
Dieser Text erschien in The Gap, Ausgabe Nr. 188.