Es gibt Leute, die binden sich sehr schnell an andere. Die eröffnen wegen jeder Kleinigkeit einen Gruppenchat, übertreiben es in Sachen Emoji und steigen aus keinem Uber aus, bevor sie nicht mindestens einen Secret Handshake mit dem Fahrer etabliert haben. So jemand bin ich eigentlich nicht. Meine Zurückhaltung ist mir lieb wie eine etwas langweilige Freundin. Sie sorgt dafür, dass ich früher nach Hause gehe, dafür bin ich am nächsten Morgen topfit. Wenn es sich hingegen um ein Love Interest handelt, ist das Ganze eine totally different story. Da gebe ich hin und wieder ein bisschen zu viel Gas. Nach nur einem vielversprechenden Date dürfen meine Freund*innen in der Regel eine vollständig animierte Powerpoint-Präsentation erwarten. Schließlich sollen sie wissen, von welcher Person sie paar Wochen lang hören werden, ohne sie jemals zu Gesicht zu bekommen. So geschehen auch beim ruhigen Spanier, der mir letzten Herbst über den Weg gelaufen ist.
Hello Neighbor!
Es war natürlich keine richtige Powerpoint. Ein Freund fragte mich, was in meinem Leben gerade so passierte, was ich zum Anlass nahm, ihm ein paar Fotos vom Spanier vor zu wischen. Mit dem hatte ich inzwischen drei gute Abende verbracht. Klassische erste Dates: Händchenhalten auf herbstlichen Spaziergängen, bei einer heißen Schokolade über Kindheitstraumata quatschen, sich gegenseitig sagen, für welches Obst man sich hält. Ich bin eine Mandarine. Der Gesichtsausdruck des Freundes veränderte sich, als er das Foto des Spaniers sah. »Josef, das ist jetzt vermutlich ein bisschen komisch, aber der Typ hat mich letzte Woche auch angeschrieben«, sagte er und zeigte mir den dazugehörigen Grindr-Chat. »Hello Neighbor« stand da Schwarz auf Blau. Ich tat die Situation achselzuckend als typischen Datingfail ab. »Go for it!«, sagte ich ein bisschen zu enthusiastisch und klopfte dem Freund auf die Schulter, »been there, done that, bought the T-Shirt!« Erst zwei Minuten später flitzte ich nach Hause, um dem Spanier mitten in der Nacht eine gekränkte Whatsapp-Nachricht im Umfang von 2 DIN4-Seiten zu schicken wie ein normaler Mensch.
Attachment Theory
Manchmal frage ich mich, ob ich in romantischen Angelegenheiten ein bisschen zu schnell bin. Ein bisschen zu angestrengt warte, zu verfügbar bin, binnen meines ersten Lebensjahres zu wenig in den Arm genommen wurde. Der nächste Morgen war so ein Moment. Ich fühlte mich elend, wie immer, wenn mich meine Zurückhaltung im Stich gelassen hatte. Der Spanier fand nachvollziehbare, aber langweilige Gründe für sein Verhalten: Er lebte erst seit wenigen Monaten in der Stadt, nutzte Dating-Apps auch um platonische Freunde kennenzulernen, außerdem wäre es ja nur ein »Hello Neighbor« gewesen und vielleicht verstünden wir uns ja doch nicht so gut. Doch diese Rationalisierungen interessierten mich einen Dreck. Niemals wollte ich in einer Welt leben, in der Händchenhalten nichts mehr bedeutete. Um zu verarbeiten, machte ich mich daran, einen Zaubertee aus getrockneten Mandarinen, Rosenblüten und meinen Fingernägeln zu kochen, den ich liebevoll verpackt auf seiner Fußmatte platzieren würde. Dann ging ich in die nächste Filiale des Bekleidungskonzerns, für den er arbeitete, und brachte dort ein paar Stapel Pullis durcheinander, bevor ich mich in die U-Bahn setzte um ein einige Stationen lang öffentlich zu weinen. Mit den Jahren weiß man einfach, was einem gut tut.
Love on the spectrum
Bald kam ich wieder klar. Der Spanier und ich hatten uns auf nette Art entschieden, einander fremd zu bleiben. Das musste ich akzeptieren. Dating im Spätkapitalismus ist eben kein Kindergeburtstag. Den meisten geht es darum, das Beste aus dem verfügbaren Pool an Potentials herauszuholen. Nur deshalb existieren Begriffe wie Benching, Breadcrumbing oder Cushioning, die genau das bedeuten, was man hinter ihnen vermutet. »Alle jagen ständig etwas Besserem hinterher« postete ich resignierend in einen Gruppenchat, den ich extra zu diesem Zweck eröffnete. »Wer zuerst schreibt, hat schon verloren« schob ich, begleitet von einer etwas überschwänglichen Emoji-Selection, hinterher. Im Grunde wusste ich überhaupt nichts über diesen Spanier. Er war schon extrem ruhig. Vielleicht befand er sich ja auf dem Spektrum. »Da lag immer ein Rubik’s Cube auf seinem Wohnzimmertisch«, erzählte ich meinem Uber-Fahrer, der verständnisvoll nickte, während er auf die menschenleere Straße einbog, in der ich wohnte. Ich gab ihm fünf Sterne und ging davon aus, dass er wenig später das selbe tun würde. Aber man sollte sich in solchen Dingen niemals zu sicher sein.
Dieser Text erschien in The Gap Nr. 191.