Love is bland

Teams seien wie kleine Familien, sagte einmal ein väterlicher Arbeitskollege zu mir. Denn wer neue Leute einstelle, bilde immer auch seine eigene Familie nach. So seine systemische Argumentation, bevor er mich an seinem Finger ziehen ließ. Tatsächlich gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen Arbeitskolleg:innen und Geschwistern. Man gibt sich neckische Spitznamen, isst an Geburtstagen gemeinsam Kuchen und trifft sich in den meisten Fällen ausschließlich, weil man dazu verpflichtet ist. Doch die Chef:innen müssen es irgendwann übertreiben. Dann werden Mitarbeitende, die nichts als ihr Broterwerb verbindet, gezwungen, in ihrer Freizeit bowlen zu gehen, Glühwein zu trinken oder beim Wichteln gegenseitig ihren Geschmack zu verfehlen – allesamt Dinge, die gütige Eltern ihren Kindern niemals zumuten würden. Teambuilding heißt diese Unsitte. Die Betriebswirtschaft meint, die arbeitsteilige Produktivität zu steigern, indem man unselbstständig Beschäftigten mit aufoktroyierten Freizeitbeschäftigungen auf den Senkel geht. Am effektivsten vollziehe man dies, wenn man ein ganzes Team in ein Motel One steckt und ein paar Mal mit einem Flipchart draufhaut, so wie es mir vor kurzem passierte. Ich konnte nicht umhin, mich zu wundern: War ein stabiles Einkommen diese ganzen Strapazen wert?

Love is Blind

Es kommt immer drauf an, wen man fragt. Hin und wieder kommt es vor, dass sich Angestellte ihres internalisierten Klassenhasses beugen und Teambuildings etwas abgewinnen können. So wie diese eine Salzburger Kollegin. Die saß schon zu Beginn ganz vorne im Seminarraum und gierte nach dem Tennisball, um endlich loszuwerden, wer sie war und was sie sich von den kommenden zwei Workshop-Tagen erwartete, während ich noch versuchte mit einem Seminarraummöbel eins zu werden um zumindest optisch verschwinden. Denn es sollte, wie literally immer, eine Gruppenaufgabe folgen. Edding und Naturpapier, man kennt den Drill. Gefühlte Stunden beobachtete ich meine Teammitglieder, wie sie selbstgebastelte Schilder auf das erwähnte Flipchart klebten und fragte mich dabei, ob ich viel schlauer oder viel dümmer war als sie. Denn am Ende würden alle alles super finden und die Flipcharts abfotografieren, aus einem mir nicht zugänglichen Grund. Wie viel Sinnvolleres hätte man in dieser Zeit anfangen können! Zum Beispiel gemeinsam eine ganze Season der Netflix-Show »Love is Blind« niederreißen. Danach hätte man trefflich darüber diskutieren können, ob Hannah wirklich nur zu direkt ist oder doch eine bitch, oder ob Ashley ihrem Ehemann in spe Tyler wegen seiner drei verschwiegenen Kinder zu früh verziehen hat oder gerade rechtzeitig. So musste ich all das später im Motel One alleine nachholen. Aber der Reihe nach.

Josefs aktuelle Termine

Life is blind

»Love is blind« ist eine extrem interessante Dating Show. Die datenden Paare bekommen sich nämlich erst zu Gesicht, nachdem sie sich bereits verlobt haben. Deshalb müssen sie auf die harte Tour herausfinden, dass Liebe eben alles andere als blind ist. Das ist sehr unterhaltsam, wenn sich jemand sein Significant Other z.B. besonders groß vorgestellt hat und es dann sehr klein ist. Weil jedoch niemand oberflächlich erscheinen möchte und zugeben, dass die Looks des oder der Verlobten nicht up-to-par sind, ergießen sich Schwälle passiver Aggression über den anderen Kandidat*innen. Das macht den meisten jedoch überhaupt nichts aus, weil der Cast der Show fast ausschließlich aus Menschen besteht, die irgendetwas managen. Alle sind Regional Manager, Sales Manager, Yoga Instructor Manager oder Interior Decorator Manager. Als leitende Angestellte mit Personalveranwortung reproduzieren sie tagein, tagaus die Kultur des Kapitalismus. Dazu gehört unter anderem, in einer Art Gameshow die große Liebe zu suchen und unbescholtene Mitarbeiter:innen zum Teambuilding zu zwingen. Und hier schließt sich für mich der Kreis dieser Kolumne.

Life is bland

Nach einem harten Teambuilding-Tag möchte man einfach nur im Motel One chillen. Doch gerade als ich es mir bei »Love is blind«, Se07Ep04, gemütlich gemacht hatte, klopfte es an meiner Tür. Ein Arbeitskollege wies mich darauf hin, dass sich alle noch für einen Absacker an der Bar treffen würden. Natürlich hätte ich am liebsten geantwortet: »Warum willst du mit Arbeitskolleg*innen was trinken gehen? Hast du keine Freunde?« Doch ich war mir bewusst: Wenn du beim Absacker mit Kolleg*innen an der Motel One Bar abwesend bist, wird gottlos über dich gelästert. Deshalb schleppte ich mich in die Lobby und bestellte mir ein kleines Bier um sieben Euro. Schon von weitem hörte ich die Salzburger Kollegin ausgelutschte, moralisch aufgeladene Talking Points skandieren. Sie esse zwar Fleisch, aber nur regional, solche Dinge. Als ich auftauchte, plötzlich alle so fake: »Ah, der Josef ist da!«. Unter akutem Small Talk-Zugzwang presste ich kurz ein paar Facts über »Love is blind« hervor, worauf die Salzburgerin meinungsstark irgendwas über Trash TV sagte und wie egal es ihr wäre. Teams sind schon weirde Gebilde, dachte ich mir, während ich innerlich emigrierte und mich in ein hässliches Loungemöbel vor einem Fernseher mit flackerndem Lagerfeuer curlte. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr. Meine Teamleiterin muss gekommen sein und mich zugedeckt haben. 

Josefs aktuelle Termine

Dieser Text erschien in The Gap 208.