Nach der Arbeit saß ich mit einer Freundin im Garten vom Café Kriemhild beim ersten Bier. Ich erzählte gerade von meinen Eltern, die ich kürzlich besucht hatte und bei denen der Groschen mit dem Klimawandel erst vor kurzem so richtig gefallen war. Beim Frühstück schmierten sie ziemlich schlecht gelaunt für Nachkriegskinder ihre üppigen Butterbrote. Auf meine Frage, was los wäre, antworteten sie beide wie aus einem Mund: »Alles wird schlechter«. Das hatte mich ziemlich beeindruckt. Nie hätte ich geglaubt, dass ein paar Nachrichten über Waldbrände in Südfrankreich meine Boomer-Eltern in extreme Gefühlszustände versetzen könnten, weil sie eigentlich immer die Felsen in meiner Brandung waren. Vielleicht trifft dich der Weltuntergang auch anders, wenn du im Teletext davon liest. Die Freundin meinte nur: »Kenn ich. Die letzten 15 Jahre ist alles wurscht, aber jetzt Energiesparlampen hamstern. Sie lernen es nie.« Ich fühlte mich verstanden. Wir prosteten uns noch einmal zu, aber irgendwas war anders. Allerdings konnte ich konnte nicht genau sagen, was.
Post Friendship Break-up
Freundschaften sind ständige Wiederbegegnungen. Du kannst dir 80 Nächte miteinander um die Ohren geschlagen und die andere Person auf ein paar stimmige Ideen eingekocht haben, aber reinschauen kannst du in niemanden. Dass ich mich mit besagter Freundin wieder so gut verstehen würde, hätte ich lange nicht geglaubt. Wir hatten vor einigen Jahren einen bewussten Friendship Break-up vollzogen und wie bei einer Scheidung alles aufgeteilt. Café Weidinger gehörte ihr, der Sechste mir, gelbe Parisienne ihr, genervt Ausatmen, als hätte man gerade den 13A verpasst, mir. Als wir uns dann zufällig an einem Sommerabend im Rüdigerhof trafen, zogen wir ein paar Grenzen neu. Seither testen wir sorgfältig aus, was bei der anderen gut reingeht und was nicht. So ist das okay. Die nette deutsche Bedienung erzählte jedem Tisch, dass man nun wegen Nachbarn rein müsse. Auf einmal fiel mir auf, was anders war. Mein Rucksack mit Notebook und allem war plötzlich nicht mehr da. Eine Frau in weißen Lackschuhen hätte ihn mitgenommen. Meine Freundin ließ sich sofort eine komplette Personenbeschreibung geben und packte ihre Sachen: »Geht scho’, Josef, die find’ ma«.
It’s a Mannswörth
Es gibt kein Patentrezept für Freundschaften, weil jede anders funktioniert. Ein Freund von mir singt jedes Mal, wenn die S-Bahn auf dem Weg nach Schwechat an der Raffinerie vorbeifährt, in James Brown-Stimme »It’s a Mannswörth«. Ich schicke einer Freundin jedes Mal ein Foto, wenn mir Hank Ge irgendwo begegnet. Sowas wird dann irgendwann zu einem Ding. Dafür nimmst du dann auch gefühlte Stunden in einem griechischen Minimarkt in Kauf, wo plötzlich alle zu Weinkenner*innen mutieren. Wenn du allerdings zu lange auf einem Ding herumreitest und Gewohnheiten zu gefühlten Pflichten werden, kann es vorkommen, dass dir abhanden kommt, was Freund*innenschaft eigentlich auszeichnet: die Freiwilligkeit, sich immer wieder für sie zu entscheiden. Spätkapitalistische Bedingungen engen bekanntlich Zeiträume zum Abhängen ein. Sie lassen sich aber auch trefflich vorschieben, um schmerzhaften Gefühlen auszuweichen. Da kann es dir schon einen Stich versetzen, wenn mal aus einem Gespräch mit einer Freundin keine Begegnung wurde und dir darauf der Insta-Algo mitten in der Nacht reinspült, dass ebenjene Freundin einen Post liked der heißt »Signs you have outgrown a friendship«. Interessanterweise passiert sowas auch immer um 23 Uhr, wenn Gastgärten gerade schließen und nicht etwa um 14 Uhr, wenn man sich noch locker mit einem Iced Latte im shabby-chicen Ambiente trösten könnte.
Zwei gegen den Rest der Welt
Unsere Ermittlungen im Nibelungenviertel waren ergiebig. Bald begegnete uns die Frau in den weißen Lackschuhen, die drei Rucksäcke trug und mit verschmierter Wimperntusche mit ein paar Polizisten sprach. Sie war ziemlich durch den Wind und gab mir den Rucksack zurück. Erst später fiel mir auf, dass sie ein T-Shirt von mir anhatte. Sogar die Polizisten verhielten sich okay. Nach diesem kleinen Abenteuer machten wir uns auf den Heimweg, bzw. ging ich noch einen kleinen Umweg mit der Freundin. Als wir uns vor einer Ewigkeit kennenlernten, hatten wir ein Fundament gelegt und beschlossen »Wir zwei gegen den Rest der Welt«. Aber in den wenigsten freundschaftlichen Beziehungen kannst du dich ewig auf einen Pakt berufen. Ich glaube, das gibt es nur in Filmen. Du kannst einfach nicht jahrelang das Gleiche machen und die Lücke zwischen den Vorstellungen, die du projizierst, und dem, was diese Person gerade beschäftigt, einfach klaffen lassen. Meine Eltern werden in einer Akribie, die nur Pensionisten kennen, Papiersackerl wiederverwenden und irgendwann vielleicht sogar vorschlagen, Strecken von 500 Metern nicht mit dem Auto zurückzulegen. Es liegt dann auch an mir, das zuzulassen und die Strecke mit ihnen zu gehen und dabei an jedem einzelnen Baum stehen zu bleiben. Aber manchmal geht man eben ein paar Umwege.
Dieser Text erschien in The Gap Nr. 195.